Es ist nicht immer MFA, wenn MFA draufsteht.

Am 27. August wurde die Firma Retool, der Anbieter einer Low-Code-Entwicklungsplattform, Opfer eines Social-Engineering-Angriffs. Dank der im April eingeführten Synchronisationsfunktion der Google-Authenticator-App konnten Angreifer die Multi-Faktor-Authentifizierung (MFA) zu einer Single-Faktor-Authentifizierung downgraden und sich so Zugriff zum Retool-Netzwerk verschaffen.

Der initiale Eindringvektor der Angreifer war ein Smishing-Angriff (Phishing über SMS-Textnachrichten) an mehrere Retool-Mitarbeiter. Ein Mitarbeiter ist dem Aufruf der Nachricht gefolgt und hat seine Zugangsdaten auf einem gefälschten Log-in-Portal eingegeben. Da Retool MFA verwendet, erhielten die Angreifer mit den Zugangsdaten allein jedoch noch keinen Zugriff zu den Accounts oder dem Retool-Netzwerk. Daher starteten sie einen gut vorbereiteten Vishing-Anruf (Phishing über Telefon) gegen den Mitarbeiter und konnten diesem auch einen Code für die Multi-Faktor-Authentifizierung entlocken.

Die Angreifer verwendeten die Zugangsdaten und den MFA-Code, um ihr Gerät mit dem SSO-Konto des Mitarbeiters zu verbinden und u. a. Zugriff zu seinem Google-Konto zu erhalten. Dies erwies sich als verheerend, da Google seine in der Google-Authenticator-App generierten MFA-Codes seit April 2023 automatisch mit dem Google-Konto synchronisiert. Die Angreifer konnten nun die MFA-Codes, welche z. B. bei der Verbindung mit dem Retool-VPN oder den Verwaltungssystemen benötigt wurden, einfach aus dem Google-Konto des kompromittierten Mitarbeiters auslesen. Effektiv wurde die Multi-Faktor-Authentifizierung (MFA) dadurch zu einer Single-Faktor-Authentifizierung herabgestuft.

Unternehmen, welche auf die Google-Authenticator-App setzen, sollten sich bewusst sein, dass die Synchronisationsfunktion standardmäßig aktiv ist. Das Deaktivieren der Funktion ist nur möglich, indem das Google-Konto vollständig von der App entkoppelt wird.

Immer wieder überrascht die Kreativität der Angreifer, mit welcher versucht wird, MFA zu umgehen. Seit Jahren werden bspw. SIM-Swapping-Angriffe dazu genutzt, um über SMS versendete MFA-Codes abzufangen.

Mittels sogenannten MFA-Bombing- oder MFA-Fatigue-Angriffen ist es der Hackergruppe „Lapsus$“ Anfang 2022 gelungen, die MFA von Microsoft und anderen Unternehmen zu umgehen. Bei diesem Angriff werden die betroffene Personen mit MFA-Anfragen überflutet, z. B. um 1 Uhr nachts, in der Hoffnung, dass sie in der Stress-Situation oder versehentlich eine davon akzeptieren.

Einen Phishing-resistenteren MFA-Schutz bieten Sticks oder Android-Smartphones mit Fido bzw. WebAuthn. Der Nachteil dieser Lösung ist, dass der zu schützende Dienst diese unterstützen muss.

https://retool.com/blog/mfa-isnt-mfa/

https://security.googleblog.com/2023/04/google-authenticator-now-supports.html

https://www.golem.de/news/retool-kritisiert-google-authenticator-macht-cyberangriff-erst-richtig-effektiv-2309-177706.html#

https://www.golem.de/news/lapsus-hackergruppe-umgeht-2fa-mit-einfachem-trick-2203-164236.html

Was haben drei Töne mit Informationssicherheit zu tun?

Als am späten Abend des 25. August bei mehreren Zügen der polnischen Bahn PKP plötzlich eine Notbremsung ausgelöst wurde, dachten einige gleich an einen komplexen Cybervorfall. Mehr als 20 Züge wurden zum Halten gebracht, und weitere wurden anschließend aus Sicherheitsgründen gar nicht erst auf die Strecken gelassen.

Die Angreifer mussten sich nicht aufwendig über mehrere Netzgrenzen hinweg bis in die Steuerungstechnik des Bahnnetzes hacken. Der Angriff erfolgte per Funksignal. Eine Folge von drei Tönen auf einer bestimmten Frequenz reichte aus, um die Züge zu stoppen. Dahinter steckt die Sicherheitsmaßnahme (Sicherheit im Sinne von Safety) RADIOSTOP des PKP-Funksystems. Diese Funktion kann an jedem Funkgerät im Zug oder an der Strecke ausgelöst werden und sorgt dafür, dass im Gefahrenfall alle Züge im Empfangsbereich so schnell wie möglich zum Stehen kommen. Bei einem Unfall geht eine sehr große Gefahr von anderen, insbesondere entgegenkommenden Zügen aus – und diese an sichsehr hilfreiche Funktion ermöglicht es, schnell reagieren zu können.

Die Tonfolge ist wohlbekannt und steht sogar in EU-Dokumenten, und die notwendige Funktechnik ist leicht selbst zu bauen. Bei einer Analyse auf der Webseite des Technik-Magazins Wired sprach sich der Sicherheitsforscher Lukasz Olejnik daher dagegen aus, den Vorfall als Cybervorfall zu bewerten. Aber muss ein Cybervorfall sich immer um kompromittierte Computer drehen? Mit den vermutlich selbst zusammengelöteten Funkgeräten, konnten doch auch Schutzziele der Bahn verletzt werden.

Aber andersrum gefragt: Hätten Sie den analogen Zugfunk in Ihre Betrachtungen zur Informationssicherheit einbezogen? Gibt es auch in Ihrem Haus Sicherheitslösungen, die im Gefahrenfall beispielsweise Türen öffnen oder den Serverraum trotz Netzersatzanlage vom Strom trennen?

Wie das polnische Beispiel ausgeht, ist noch offen. Obwohl erste Verdächtige verhaftet und passendes Equipment gefunden wurde, gab es einige Tage lang auch in anderen Landesteilen weitere Vorfälle.

Die Sommerlücken kommen

Während im ersten Bundesland die Sommerferien schon wieder vorbei sind, beginnt diese Woche die Sommersaison der Sicherheitskonferenzen: eine Serie von spektakulären Ankündigungen und tatsächlich auch spektakulären Neuigkeiten in der Security. Den Anfang machen die amerikanischen Konferenzen DEFCON, Blackhat US und BSidesLV – die praktischerweise alle in Las Vegas nach- und nebeneinander stattfinden. Daher wird der Block auch gern „Hacker Summer Camp“ genannt, obwohl alles drinnen stattfindet. Die akademischere Welt trifft sich in Anaheim zum USENIX Security Symposium und in Europa verabredet man sich in echten Zelten: Erst beim großen Chaos Communication Camp in der Nähe von Berlin und dann bei kleineren Camps wie dem Hacken Open Air in Gifhorn.

Bei vielen Darbietungen werden die Details erst im Vortrag selbst enthüllt und führen dann schnell zu spektakulären Schlagzeilen. Manchmal sind Schlagzeile und Vortrag spektakulärer als das sich tatsächlich für die Praxis ergebene Risiko, aber nicht selten sind auch wegweisende Entwicklungen dabei. Wenn Sie diesen Digest lesen, dann haben Sie vielleicht schon die ersten Nachfragen zu einigen Schlagzeilen im Postfach.

Zwei Themen machten schon im Vorfeld Schlagzeilen:

  • Mehrere Schwachstellen wurden im TETRA Funkstandard entdeckt. Die Detailbeschreibungen teilten die Entdecker nicht nur auf die oben genannten Konferenzen, sondern auf insgesamt fünf verschiedene Vorträge auf. TETRA kommt hierzulande vor allem als BOS-Funk zum Einsatz (für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben). Durch die Art und Weise des Einsatzes und vor allem durch zusätzliche Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sind diese nicht betroffen.
  • Forscher der TU Berlin zeigen, wie sie die zentrale Entertainmentsteuereinheit eines Tesla übernehmen konnten. „Entertainment“ klingt im ersten Moment nicht spektakulär, beinhaltet aber beispielsweise die geregelte Freischaltung von Fahrzeugfunktionen, die nur über zusätzliche Abos verfügbar sind – wie die Sitzheizung. Den Forschern gelang außerdem der Zugriff auf Schlüssel, mit denen sich das Fahrzeug bei den diversen Onlinefunktionen gegenüber dem Hersteller ausweist.

Neben den Vorträgen gibt es auch immer diverse andere Programmpunkte, unter anderem Wettbewerbe. Besonders spektakulär ist diesmal der Hack-a-Sat-CTF, für dessen Finalrunde extra am 7. Juli ein eigener Satellit in die Umlaufbahn gestartet wurde.

Die einzelnen Konferenzprogramme finden sich hier:

LLMs sind auch nur (schützenswerte) Informationen

Kaum ein Thema in der IT erzeugt derzeit mit ähnlicher Taktrate neue Schlagzeilen wie die aktuelle Entwicklung von sogenannten Large Language Models (LLMs). LLMs stellen eine Variante von künstlichen neuronalen Netzen dar, die auf der Transformer-Architektur basieren. Diese wurde im Artikel „Attention is All You Need“ von Google vorgestellt.

Wie bei allen (Technologie-)Hypes verbreiten und vermischen sich Fakten und Fiktion nahezu ungebremst, was nicht zuletzt durch die unbestreitbar beeindruckenden Fähigkeiten von ChatGPT und Co verstärkt wird. Auch aus Sicht der Informationssicherheit ist die Entwicklung hochgradig spannend, denn für bösartige Akteure ergeben sich neue Kategorien von Schwachstellen und damit Angriffsmöglichkeiten. Gleichzeitig stehen wir diesen Gefahren und der rasanten Entwicklung jedoch nicht hilflos gegenüber. Mit bekannten methodischen Werkzeugen und einem kühlen Kopf lassen sich Bedrohungen ermitteln und Gegenmaßnahmen ableiten.

Schutzziele gelten auch für LLMs

In der Welt der Informationssicherheit und des Datenschutzes sind drei Schutzziele von zentraler Bedeutung: Vertraulichkeit, Verfügbarkeit und Integrität. Diese gelten für alle Arten von Daten und Informationen. LLMs sind wiederum nichts anderes als Informationen in Form von Zahlen in ziemlich großen Matrizen. Dazu gehören sowohl mit gigantischem Ressourcenaufwand trainierte Foundation Models wie GPT-4 (OpenAI), LLaMA (Meta), Claude (Anthropic) und PaLM (Google) mit reglementiertem Zugriff, als auch eine unaufhörlich wachsende Menge an frei verfügbaren Klonen, nutzbar für jeden mit geeigneter Hardware (mit ausreichend Geduld sind selbst handelsübliche Grafikkarten mittlerweile ausreichend).

Bezogen auf LLMs können die Schutzziele der Informationssicherheit wie folgt beschrieben werden:

  • Vertraulichkeit bezieht sich auf den Schutz von Informationen vor unbefugtem Zugriff. Für LLMs bedeutet das, dass die Modelle gleichermaßen geschützt werden müssen, wie die Daten, mit denen sie trainiert wurden. Dies gilt sowohl für die Modelle an sich, als auch für sämtliche Datenflüsse zum Modell (Training) und ausgehend vom Modell (Inferenz bzw. Abfragen). Vergleichbar ist dies mit personenbezogenen Daten, beispielsweise bei einem System zur Verarbeitung medizinischer Daten zwecks Diagnostik. Diese unterliegen höchsten Vertraulichkeitsansprüchen, was sich auch auf verarbeitende KI-Modelle überträgt. Das betrifft nicht nur lokal betriebene Modelle sondern auch Dienste wie ChatGPT, die sich vorbehalten Benutzereingaben per Opt-Out für weitere Trainingsdaten zu verwenden. Dass die Vertraulichkeit damit eindeutig beeinträchtig ist, schlussfolgerte auch Samsung, nachdem Ingenieure geheime Unternehmensdaten in den Chatbot von OpenAI eingegeben hatten.
  • Verfügbarkeit stellt sicher, dass autorisierte Benutzer in einem angemessenen Zeitrahmen Zugriff auf die benötigten Informationen haben. Im Kontext von LLMs bedeutet das, dass die Modelle immer dann verfügbar sein müssen, wenn sie benötigt werden. Wird ein eigens trainiertes LLM im Rahmen eines wichtigen oder sogar kritischen Prozesses verwendet, sollte sichergestellt sein, dass es Sicherungskopien und Redundanzen gibt. Andernfalls können Ausfälle oder Verzögerungen von mehreren Tagen bis Wochen entstehen, um das Modell von Grund auf neu zu trainieren. Hinzu kommen die teilweise enormen Kosten durch die benötigte Rechenleistung. Auch eine Auslagerung in Cloud-Dienste löst dieses Problem nicht vollständig. Beispielsweise in der Finanzbranche gelten hohe Ansprüche an die Verfügbarkeit.
  • Integrität bezieht sich auf die Richtigkeit und Vollständigkeit von Informationen. An dieser Stelle sei das bekannte Problem von LLMs, Dinge zu „halluzinieren“ kurz außer Acht gelassen. Grundlegend ist es wichtig, dass die Modelle und ihre Trainingsdaten vor Manipulationen geschützt sind. Jede Änderung der Daten oder des Modells könnte das Verhalten des LLMs beeinflussen und zu unerwünschten oder sogar schädlichen Ergebnissen führen. Dieses Problem betrifft allerdings nicht nur LLMs oder neuronale Netze, sondern auch die Auswertung von Daten allgemein und ist ein hartnäckiges Problem. Spätestens wenn auf Basis der gelieferten Ergebnisse von KI-Modellen Entscheidungen getroffen werden, die sich auf einzelne Personen oder Personengruppen auswirken, muss die Integrität der involvierten Daten gewährleistet sein.
Halluzinierende LLMs?

Halluzinationen im Kontext von LLMs bezeichnen die Eigenschaft, dass die Modelle Lücken in den Trainingsdaten mit plausibel klingenden aber falschen Aussagen überdecken. Menschen wissen, dass sie vieles nicht wissen und sind in der Lage, Wissenslücken als solche zu identifizieren und mit einem einfachen „weiß ich nicht“ zu quittieren. LLMs besitzen nicht die Möglichkeiten für solche kognitiven Tricks und sind darauf trainiert, immer hilfsbereit zu sein und eine positive Antwort zu liefern. Da diese Angewohnheit für viele Anwendungsfälle einer sicheren und zuverlässigen Nutzbarkeit im Weg steht, wird aktiv an dem Problem geforscht. Derzeit ist allerdings unklar, ob und mit welchen Methoden eine Lösung möglich ist. Zumal das Verhalten für kreative Zwecke wiederum nicht unerwünscht ist.

Auf dieser Ebene betrachtet, können und müssen für die Nutzung aber auch Absicherung von LLMs mindestens klassische Sicherheitsmaßnahmen wie Verschlüsselung, Backups und Redundanzen sowie Zugriffskontrollen ergriffen werden. Am einfachsten ist der Vergleich mit typischen Wissens- und Informationsspeichern von Organisationen und Unternehmen, seien es IAM-Systeme, Fileshares, Source-Code-Verwaltung, CRM-Plattformen, Dokumentenverwaltung, Wikis und vieles mehr. Letztlich die gesamte digitale Landschaft, welche zur Erbringung der Geschäftsprozesse benötigt wird. Denn gute Informationssicherheit verfolgt grundlegend einen ganzheitlichen Ansatz.

Typische Bedrohungen in der Informationssicherheit

Um für solche digitalen Landschaften die relevanten Bedrohungen und geeigneten Sicherheitsmaßnahmen zu ermitteln, gibt es verschiedene Wege. Als Grundlage für Risikoanalysen hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) als Teil des IT-Grundschutzes einen Katalog von elementaren Gefährdungen erstellt. Dieser enthält typische Bedrohungen, die von Umweltereignissen über versehentliche Fehlhandlung bis hin zu Schadsoftware reichen. Während nicht alle davon direkt auf LLMs anwendbar sind, können einige jedoch als Ausgangspunkt dienen, beispielsweise der Ausfall von Kommunikationsnetzen, die Manipulation von Informationen oder auch die unberechtigte Nutzung von Systemen. Zur Inspiration sind folgend einige konkrete Beispiele aufgeführt:

Beispielhafte elementare Gefährdungen mit Bezug zu LLMs
  • G0.9 Ausfall von Kommunikationsnetzen: Besteht keine Verbindung, sei es zur Cloud oder dem eigenen Rechenzentrum in dem ein LLM betrieben wird, kann es nicht genutzt werden und die Verfügbarkeit ist beeinträchtigt.
  • G0.11 Ausfall oder Störung von Dienstleistern: Wird der Betrieb einem Dienstleister übertragen, sei es in Form von Rechenzentrumskapazitäten oder SaaS-Produkten, besteht eine Abhängigkeit, die beim Ausfall oder einer Störung zur Beeinträchtigung der Verfügbarkeit führt.
  • G0.14 Ausspähen von Informationen (Spionage): Hier wird eindeutig die Vertraulichkeit beeinträchtigt. Die Bedrohung umfasst explizit auch die Möglichkeit, dass einzelne öffentlich verfügbare unverfängliche Informationen zusammengetragen werden und dadurch erst eine kompromittierende Wirkung entfalten. Genau dies kann bei großen Trainingsdatensätzen der Fall sein.
  • G 0.20 Informationen oder Produkte aus unzuverlässiger Quelle: Die Vielfalt sowohl von Trainingsdatensätzen als auch vortrainierten Modellen ist bereits heute gigantisch. Plattformen wie HuggingFace bieten Möglichkeiten zum Austausch von Datensätzen, Modellen und mehr. Dadurch ergeben sich ähnliche Gefahren, die für verschiedene Arten von Software- und Paket-Quellen in den letzten Jahren zu weitreichenden Auswirkungen geführt haben. Am bekanntesten sind Vorfälle des NodeJS-Paketmanagers NPM oder das Python-Äquivalent PyPI. Angreifer haben dabei Besitz von weitverbreiteten Paketen erlangt und Schadcode eingefügt oder Pakete mit ähnlich klingenden Namen genutzt, um unvorsichtige Benutzer anzugreifen. Je nach Ausprägung des Schadcodes sind demnach alle Schutzziele betroffen: Vertraulichkeit, Verfügbarkeit und Integrität. Diese Angriffe gelten auch aus Supply-Chain-Angriffe und wurden für LLMs bereits erfolgreich demonstriert.
  • G 0.22 Manipulation von Informationen: Wie oben zum Schutzziel der Integrität bereits erläutert, ist die Qualität und Korrektheit von Trainingsdaten eine Grundvoraussetzung für die Zuverlässigkeit der LLMs. Gelingt es Angreifern diese in den Originalquellen oder auch im vorbereiteten Trainingsdatensatz zu manipulieren, kann dies zu falschen oder irreführenden Entscheidungen und Aussagen im Sinne der Angreifer führen. Unabhängig davon, ob es dadurch zu unerwünschten Unternehmensentscheidungen oder der Verbreitung von Desinformationen kommt, ist die Integrität entsprechend beeinträchtigt. Eine weitere konkrete Gefahr ergibt sich durch die Auslagerung des Trainings an externe Dienstleister. Diese können durch Manipulation der Trainingsdaten Hintertüren in den Modellen einschleusen, die sich nach aktuellem Stand nicht zuverlässig entdecken lassen.
  • G 0.28 Software-Schwachstellen oder -Fehler: Die Software-Projekte rund um LLMs sind in der Transitionsphase von Forschungsprojekten zu marktreifen Produkten. Der Drang möglichst schnell fertige Produkte anbieten zu können, führt häufig zu Entwicklungspraktiken, die nicht den Best Practices folgen und Schwachstellen verursachen. Die konkreten Auswirkungen sind abhängig von der Art der Schwachstelle. Gemessen an der potenziellen Angriffsoberfläche (interaktive Benutzereingaben, Verarbeitung von strukturierten und unstrukturierten Inhalten, komplexe Rollen- und Rechtekonzepte für die umliegenden Anwendungen usw.) sind von Informationslecks bis hin zur Übernahme der involvierten Systeme durch Angreifer alle Auswirkungen denkbar. Entsprechend sind auch alle Schutzziele – Vertraulichkeit, Verfügbarkeit und Integrität – betroffen.
  • G 0.29 Verstoß gegen Gesetze oder Regelungen: Zwar fällt der Bezug zu einem einzelnen Schutzziel schwer, jedoch ist die Bedrohung dafür nicht weniger relevant. Viele Aspekte rund um Datenschutz und Urheberrecht sind im Kontext von LLMs derzeit unklar. Einige Unternehmen handeln vorzeitig, in dem große Datenmengen gesammelt und zu Trainingszwecken verarbeitet werden, ohne die konkreten Quellen und etwaige Lizenzhinweise anzugeben bzw. zu beachten. Dies geschieht in der Hoffnung, durch Lobbyarbeit und starke Medienpräsenz ausstehende Gesetzgebungen oder rechtliche Entscheidungen zu beeinflussen. Eine Einstellung, die Meta (ehemals Facebook) in der Vergangenheit teuer zu stehen gekommen ist.

Auf der Basis solch relevanter Bedrohungen kann im Prinzip eine vollständige Risikoanalyse nach IT-Grundschutz durchgeführt werden, welche die Bedrohungslage beim Einsatz von LLMs oder KI-Modellen jeder Art erfasst. Die dafür benötigte Infrastruktur sollte dabei gleich mit betrachtet werden, unabhängig ob Cloud oder On-Premise. Es gilt dabei, sich bewusst Gedanken über das Einsatzumfeld und den Anwendungsfall zu machen. Mit dieser Informationsgrundlage gestaltet sich auch die Ableitung relevanter Sicherheitsmaßnahmen wesentlich einfacher und zielgerichteter.

Spezielle Schwachstellen von LLMs

Der zuvor beschriebene klassische und zum Teil recht abstrakte Ansatz kann mit konkreten Schwachstellenkategorien für LLMs ergänzt bzw. kombiniert werden. Das „Open Web Application Security Project“ (OWASP) stellt eine solche Auflistung von Schwachstellen bereits seit langer Zeit für Web-Applikationen in den OWASP Top 10 zusammen. Ein entsprechendes Pendant speziell für LLMs wurde zum 01.08.2023 veröffentlicht.

Die Top 10 umfassen dabei an erster Stelle Prompt Injections. Die namentliche Ähnlichkeit zur klassischen SQL Injection ist kein Zufall. Um LLMs, insbesondere im Rahmen von interaktiven Chats, daran zu hindern unerwünschte Inhalte von sich zu geben, werden der Benutzereingabe verschiedene Instruktionen vorangestellt. Prompt Injections zielen darauf ab, diese Instruktionen auszuhebeln. Besonders bekannt geworden ist dies bei der Veröffentlichung des Chatbots von Bing. Die Auswirkungen sind in einem lesenswerten Blogbeitrag von Simon Willison dargestellt.

Die konkreten Schwachstellen-Kategorien weisen dabei Ähnlichkeiten bzw. auch direkte Zusammenhänge auf, sowohl zu den OWASP Top 10 Schwachstellen von Web-Anwendungen, als auch zu den weiter oben aufgeführten elementaren Gefährdungen des IT-Grundschutzes. Grund dafür ist schlichtweg, dass LLMs von den gleichen Arten von Schwachstellen betroffen sind wie der Großteil aller informationsverarbeitenden Systeme. Die primären Unterschiede liegen in den konkreten Ausprägungen und entsprechend den zugehörigen Gegenmaßnahmen.

Übersicht der OWASP Top 10 für LLMs
  • LLM01 Prompt Injection: Mittels direkter oder indirekter Manipulation der Eingaben bzw. Prompts werden ungewollte Verhaltensweisen ausgelöst. Exemplarisch dafür ist die Ausgabe von beleidigenden, verleumderischen oder verbotenen Inhalte (Anleitungen zur Herstellung gefährlicher Stoffe o.ä.). Je nach Verwendungszweck der Ausgabe, beispielsweise zur Feststellung von Kreditwürdigkeiten, Auswertung von Anträgen und Verträgen oder anderen automatisierten Entscheidungen können die Konsequenzen entsprechend gravierend ausfallen.
  • LLM02 Insecure Output Handling: Die Ausgaben von LLMs können nicht nur Fließtext, sondern auch strukturierte Daten beinhalten. Werden diese ungefiltert übernommen, können in den nachgelagerten Systemen klassische Schwachstellen wie Cross-Site-Scripting (XSS) oder sogar Remote Code Execution (RCE) ausgelöst werden.
  • LLM03 Training Data Poisoning: Wenn die Trainingsdaten für ein LLM durch Angreifer manipuliert, sprich „vergiftet“ werden können, sind ungewollte Verhaltensweisen und Ausgaben die Folge. Die Auswirkungen können ähnlich wie bei Prompt Injection ausfallen. Je nach Ausprägung können Angreifer auch bestimmte Schlüsselwörter in die Trainingsdaten einschleusen, wodurch nur bei Abfrage bestimmter Informationen voreingenommene und unethische Ergebnissen geliefert werden.
  • LLM04 Model Denial of Service: Dies ist das LLM-Gegenstück zu klassischen Denial-of-Service-Angriffen (DoS). Das Training aber auch die Inferenz (die Erzeugung von Ausgaben) sind zumindest aktuell noch sehr ressourcen- und damit kostenintensiv. Hinzu kommt, dass zwischen der Länge der Benutzereingabe und der Ausgabe keine direkte Relation besteht. Angreifer können dies nutzen, um hohe Kosten zu verursachen oder die vorhandenen Kapazitäten so auszulasten, dass eine normale Benutzung beeinträchtigt wird.
  • LLM05 Supply Chain Vulnerabilities: Um LLMs herum entwickelt sich ein umfangreiches und weit verzweigtes Ökosystem von Modellen, Datensätzen, Algorithmen, Ausführungsumgebungen und mehr. Werden die Bezugsquellen nicht geprüft oder sind nicht ohne weiteres überprüfbar, besteht die Gefahr, dass Angreifer in dieses Ökosystem schadhafte Inhalte einbringen, die unbemerkt übernommen werden und weite Verbreitung finden.
  • LLM06 Sensitive Information Disclosure: Durch unzureichend bereinigte Trainingsdaten sowie die Aggregation verschiedenster Datenquellen entsteht die Gefahr, dass vertrauliche Daten preisgegeben werden. Werden beispielsweise interne Code-Repositories und Dokumentationen zum Training genutzt, könnten API-Schlüssel und Zugangsdaten enthalten sein die über das Modell ungewollt abfragbar sind.
  • LLM07 Insecure Plugin Design: Um LLMs mit zusätzlichen Fähigkeiten auszustatten, werden Plugins verwendet. Diese ermöglichen die Suche im Internet, den Aufruf von Programmen bspw. zur Lösung mathematischer Gleichungen, die Interaktion mit APIs und vieles mehr. Die Idee ist, dass die LLMs selbst entscheiden, welche Werkzeuge für die gestellte Aufgabe genutzt werden. Sind die Zugriffsrechte sowie Ein- und Ausgabemöglichkeiten unsauber definiert bzw. abgegrenzt, bestehen indirekte Angriffsmöglichkeiten auf diese Plugins und die Daten, auf welche diese wiederum Zugriff haben. Des Weiteren besteht die Gefahr, dass Plugins auf externe Quellen zugreifen und bösartige Inhalte an das LLM zurückliefern. Werden diese Inhalte nicht genauso stringent geprüft und validiert wie andere Benutzereingaben, sind auch dadurch indirekte Angriffe möglich.
  • LLM08 Excessive Agency: Insbesondere bei der Nutzung von Plugins und anderen potenziell rekursiven Mechanismen – also LLMs die ihre Ausgaben wieder als Eingaben verwenden – müssen sinnvolle Einschränkungen definiert werden. Abhängig von konkreten Einsatzzwecken und Plugins können anderenfalls vielfältige Auswirkungen die Folge sein. Beispielsweise könnte ein LLM das mit APIs oder Datenbanken interagieren kann, zum unbefugten Anlegen, Ändern und Löschen von Daten verleitet werden.
  • LLM09 Overreliance: Werden LLMs übermäßig zur Entscheidungsfindung oder Erstellung von Inhalten genutzt, besteht die Gefahr darüber Falschinformationen zu verbreiten oder falsche Entscheidungen mit gravierenden Folgen zu treffen. Ein konkretes Beispiel ist die Nutzung bei der Software-Entwicklung. Wird der erzeugte Quelltext ungeprüft übernommen, besteht die Gefahr, dass unerkannte Schwachstellen in produktiv genutzten Anwendungen und Web-Applikationen einfließen. Pauschalisiert ausgedrückt: Die Korrektheit der Ergebnisse von LLMs kann nur von Menschen geprüft werden, welche die korrekten Ergebnisse auch selbst erzeugen könnten. Wer zu einem bestimmten Thema nichts weiß, kann Aussagen ohne externe Referenzen nicht validieren.
  • LLM10 Model Theft: Die eigentlichen Date, aus denen das Modell besteht, inklusive Konfigurationsparameter, beinhalten eine Repräsentation der Informationen mit denen es trainiert wurde. Für interne Zwecke auf Unternehmensdaten trainierte LLMs beinhalten demnach eine große Menge vertraulicher Daten. Gelingt es einem Angreifer das Modell zu entwenden, wird entsprechend auch die Vertraulichkeit der Trainingsdaten beeinträchtigt. Demnach muss der Zugriff auf die eigentlichen Modelle sowie die Trainingsdaten und deren Quellen mindestens genauso strikt geregelt werden.

Sicherheitsmaßnahmen

Die bisherigen Schritte liefern ein Fundament zur Ableitung von Sicherheitsmaßnahmen im Umgang mit LLMs. Die genauen Maßnahmen hängen von den konkret ermittelten Bedrohungen und der Ausprägung der Nutzung ab. Ist es „nur“ ein SaaS-Dienst, in dem Trainingsdaten hochgeladen werden und im Anschluss eine abstrahierte Modell-Interaktion möglich ist? Wird ein fertiges Produkt On-Premise verwendet? Soll eine interne Informationsplattform oder gar ein kommerzielles Produkt entwickelt werden?

Auch hier gibt es hilfreiche Informationen, die zurate gezogen werden können. Bezogen auf den oben erwähnten IT-Grundschutz bietet das BSI mit dem IT-Grundschutz-Kompendium eine Sammlung von Bausteinen und Sicherheitsanforderungen für organisatorische Prozesse bis hin zu einzelnen Arten von IT-Systemen. Diese können zwar auf die zugrundliegenden Systeme, Infrastrukturen und Prozesse angewendet werden, haben jedoch nicht direkt etwas mit LLMs oder KI-Modellen zu tun.

Spezifischer hingegen ist das oben genannte OWASP-Projekt, welches auch die OWASP Top 10 für LLMs zusammengestellt hat. In einem weiterführenden Dokument werden neben detaillierten Informationen und Beispielen zu den Schwachstellen auch konkrete Gegenmaßnahmen aufgelistet.

Es ist zudem davon auszugehen, dass sich im Laufe der Zeit Muster und Best Practices herauskristallisieren, die es erlauben stärker und genauer auf Sicherheitsaspekte und -maßnahmen einzugehen, als dies aktuell noch möglich ist. Bis dahin erlauben die hier dargestellten Informationen und Grundlagen eine Möglichkeit, dennoch strukturiert und ganzheitlich die Informationssicherheit beim Einsatz von LLMs einzubeziehen.

Fazit

Wir hoffen die obigen Ausführungen vermitteln, dass trotz aller Entwicklungen und atemberaubender Schlagzeilen auch LLMs letztlich „nur“ informationsverarbeitende Systeme sind. Entsprechend gelten grundlegend die gleichen Bedrohungen, die wiederum mit bewährten und bekannten Methoden erfasst, bewertet und behandelt werden können. Gepaart mit der Betrachtung spezieller Schwachstellen ergeben sich Werkzeuge, mit denen sich proaktive Informationssicherheit und Security by Design-Prinzipien auf LLMs und Co anwenden lassen.

All dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass KI-Technologien sich weiterhin und in absehbarer Zukunft stark weiterentwickeln werden. Entsprechend wird sich auch die Sicherheitslage wandeln, wie es für die gesamte IT-Branche seit jeher der Fall ist. Der Einsatz neuer Technologien ist nicht frei von Risiken. Diese sollten daher sorgsam bewertet und gemeinsam mit entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen dem tatsächlichen Nutzen für den eigenen Anwendungsfall gegenüber gestellt werden.

Eines ist allerdings klar, es bleibt spannend!

Eine 10 von 10 – Ivanti CVE-2023‑35078 – Hilfe zur Selbsthilfe


Update vom 10.08.2023:

Für Ivanti Endpoint Manager Mobile (EPMM) wurde am 03.08.2023 eine weitere Schwachstelle (CVE‑2023-35082) mit einer CVSS-Bewertung von 10.0 veröffentlicht. Die Schwachstelle ist ähnlich zu der initial veröffentlichen CVE-2023-35078. Am 07.08.2023 hat Invanti veröffentlicht, dass diese Schwachstelle alle Versionen von EPMM betrifft. Die Maßnahmen zum Schließen der Schwachstelle und einer Identifizierung eines Angriffs wurden in dem Dokument „Hilfe zur Selbsthilfe – CVE‑2023‑35078“ ergänzt.


Update vom 01.08.2023:

Auf Basis der bereits veröffentlichten Expoits konnte der String zur Identifizierung eines Angriffs genauer bestimmt werden. Diese finden Sie in dem Dokument „Hilfe zur Selbsthilfe – CVE-2023 35078“ unter dem Punkt 2.


Update vom 31.07.2023:

Seit dem Wochenende gibt es die ersten öffentlichen Proof of Concept Exploits auf GitHub. Die teilweise in Python geschriebenen Programme ermöglichen eine automatische Ausnutzung der Ivanti Schwachstelle CVE-2023-35078.

Zusätzlich wurde am 28.07.2023 von Ivanti eine weitere Sicherheitslücke (CVE-2023-35081) publiziert. Hierbei handelt es sich um eine Schwachstelle welche es dem Angreifer erlaubt als authentifizierten Administrator beliebige Schreibvorgänge auf dem EPMM-Server durchzuführen.


Am 24. Juli 2023 hat der Hersteller Ivanti Informationen zu der Sicherheitslücke CVE-2023‑35078  veröffentlicht. Die Schwachstelle betrifft die Software „Ivanti Endpoint Manager Mobile“ (EPMM), auch bekannt als MobileIron Core. Um unseren Kunden eine Möglichkeit zu geben, erste Maßnahmen zu ergreifen und ihre Systeme zu prüfen, haben wir einen Leitfaden „Hilfe zur Selbsthilfe – CVE-2023‑35078“ erstellt. Der Leitfaden kombiniert die öffentlichen Informationen der staatlichen Sicherheitsbehörden, Fach-Blogs und die Angaben des Herstellers mit der Expertise der HiSolutions.

Sollten Sie Ivanti bzw. MobileIron Core nutzen, prüfen Sie bitte anhand des Dokuments, ob Sie alle relevanten Maßnahmen ergriffen haben.

HINWEIS: Das Dokument wird laufend aktualisiert. Bitte achten Sie daher auch auf weitere Veröffentlichungen auf unserem Research-Blog. Weitere Informationen und Cybersicherheitswarnungen erhalten Sie auch beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) unter https://www.bsi.bund.de/SiteGlobals/Forms/Suche/BSI/Sicherheitswarnungen/Sicherheitswarnungen_Formular.html


KI betrügt Betrüger

In der letzten Woche wurde wieder ein spektakulärer Fall bekannt, bei dem Betrüger das sächsische Sozialministerium dazu brachten, 225.000€ an sie selbst zu überweisen. Solche Angriffe sind inzwischen eine Mischung aus technischen Attacken und geschicktem Social Engineering. Die technischen Anteile gehen über das Registrieren von Vertipper-Domains hinaus und reichen bis zur Übernahme von Nutzerkonten, die dann genutzt werden, um per Webmail-Frontend die Mails mitzulesen oder Weiterleitungen einzurichten.

Die „sozialen Tricks“ gehen heute auch über schlecht formulierte Mails hinaus: Betrüger interagieren längst persönlich per E-Mail und Telefon mit den Opfern. Viele sehen in den neuen, KI-basierten Chatbots die Gefahr, dass diese Angriffsvarianten einfacher und effektiver werden.

Eine Forschergruppe um Prof. Kaafar an der Macquarie University in Australien will den Spieß umdrehen und betrügerische Anrufe durch einen KI-basierten Sprachassistenten beantworten lassen. Ziel ist es, die Ressourcen der Betrüger zu blockieren und so im besten Fall deren Geschäftsmodell zu stören. Das Wettrennen zwischen Angreifern und Verteidigern geht also auch in diesem Bereich weiter.

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/sozialministerium-internet-betrueger-phishing-100.html

https://lighthouse.mq.edu.au/article/june-2023/scamming-the-scammers (Pressemeldung der Macquarie University)

https://apate.ai/ (Projektwebseite)

Wenn die Sicherheitsappliance die Lücke ist

Im Mai ist eine Sicherheitslücke in der Barracuda ESG Appliance bekannt geworden, die bereits aktiv ausgenutzt wurde. Mit dem Email Security Gateway (ESG) können eingehende und ausgehende Mails auf Spam und Schadsoftware geprüft werden. Damit wird also eine typische Sicherheitsmaßnahme umgesetzt, um unerwünschte Mails und deren Anhänge gar nicht erst bis zu den Nutzern gelangen zu lassen. Noch sind nicht alle Details abschließend bekannt, aber es gibt bereits einige Denkanstöße, die auch für nicht direkt Betroffene abgeleitet werden können.

Der Hersteller empfiehlt, kompromittierte Geräte nicht weiter zu nutzen. Selbst nach einem Firmware-Update ist ihr Betrieb nicht mehr sicher, und die Geräte sollten ausgetauscht werden. Für eine virtuelle Appliance ist der Austausch einer VM leicht umgesetzt – hier muss dann „nur“, wie immer beim Neuaufsetzen nach einem Vorfall, die Konfiguration wiederhergestellt werden. Die ESG gibt es allerdings auch als physisches Gerät, und in diesem Fall muss sie tatsächlich ausgewechselt werden. Das Wiedereinspielen von virtuellen Appliances und das Neuaufsetzen von Systemen haben Sie sicher in Ihrer Notfallplanung. Aber wie gut sind Sie vorbereitet, wenn Netzwerkgeräte ausgetauscht werden müssen?

So ein Austausch benötigt logistischen Vorlauf, und dann kommt direkt eine Frage auf, auf die es keine gute Antwort gibt: Was machen wir zwischenzeitlich mit unseren Mails? Lassen wir die Appliance weiterlaufen mit dem Risiko, dass der Angreifer jetzt die letzte Chance nutzt, um sich von dort ins interne Netzwerk weiterzuhangeln (über die notwendigen Accounts und Netzwerkzugänge verfügt die Appliance typischerweise)? Schalten wir die Appliance ab und lassen die Mails ungefiltert auf unsere Nutzer einströmen – mit dem Risiko, dass jetzt doch jemand auf Phishing hereinfällt oder

sogar einen Malware-Anhang ausführt? Schalten wir so lange die gesamte Mailkommunikation ab und riskieren, dass Mails verloren gehen oder fehlende zeitkritische Informationen dem Geschäft schaden?

Auch für die Softwareentwicklung steckt ein Denkanstoß in dem Vorfall. Dafür schauen wir einmal in die Details dieser Lücke: die Verarbeitung von Mailanhängen mit TAR-Archiven. Das TAR-Format ist in der Linux-Welt sehr gebräuchlich, wenn auch nicht typischerweise als Mailanhang. Es wurde ursprünglich für die Datensicherung auf Magnetbändern entwickelt, stellt den Zustand des Dateisystems mit allen Metadaten sehr gut dar und ist sehr flexibel. Das geht bis hin zu Pfadangaben für Dateien, die sich auch auf übergeordnete Verzeichnisse oder sogar absolute Pfade beziehen können. Und genau dieses Feature wurde von den Angreifern ausgenutzt, um Dateien an den passenden Stellen im Dateisystem der Appliance abzulegen und dort vom Gerät ausführen zu lassen. Doch zurück zu Ihrem Softwareprojekt: Sie haben doch sicher auch irgendwo diese eine Funktion, die es schon sehr lange gibt, die kaum in der Praxis genutzt wird, und die trotzdem da sein muss? Wie steht es da um die Testabdeckung und um regelmäßige Reviews, ob nicht doch eine Änderung notwendig ist?

https://www.barracuda.com/company/legal/esg-vulnerability

https://www.rapid7.com/blog/post/2023/06/08/etr-cve-2023-2868-total-compromise-of-physical-barracuda-esg-appliances/

https://www.heise.de/news/Cyberattacken-Admins-muessen-Barracuda-ESG-sofort-erseztzen-9181326.html

Passt das Passwort noch?

Am 4. Mai war der Welt-Passwort-Tag – nicht zu verwechseln mit dem eher umstrittenen Ändere-Dein-Passwort-Tag am 2. Februar. Aber eigentlich ist doch jeder Tag irgendwie ein Passwort-Tag – oder wann haben Sie zuletzt einen Tag ohne eine Passworteingabe verbracht?

Vielleicht gibt auch Ihr Passwortmanager die meisten Passwörter für Sie ein? Eine bequeme Option, für jeden Dienst ein eigenes Passwort zu nutzen. Aber ist die Datenbank dahinter auch sicher abgespeichert? In unserem Januar-Digest hatten wir ja bereits über Vorfälle bei Passwortmanagern berichtet. Bei der unvorhersagbaren Passwortgestaltung sind die Tools deutlich im Vorteil gegenüber Menschen, deren Passwörter häufig erraten werden können. Diese Woche wagte Aaron Toponce einen Blick in die Passwortgenerierungs-Funktion der LastPass-Weboberfläche und fand gleich mehrere Indikatoren für einen nicht ganz so zufälligen Zufallszahlengenerator (die Zeit als Seed und RC4 als Algorithmus). Derart generierte Passwörter sind auch nicht trivial vorhersagbar, aber doch etwas leichter zu erraten als wirklich zufällige.

In unseren Pentests sind Mängel in der Passwortstärke oder der Speicherung einer der fünf häufigsten Befunde, die eine Kompromittierung des Active Directory ermöglichen. Auch ohne Netzwerkzugang kann man an Passwörter gelangen, zum Beispiel durch Schulter-Surfen, Fingerabdrücke auf Touchscreens oder Wärmebilder von Tastaturen. Den letzten Ansatz haben kürzlich Forscher an der Universität Glasgow mit KI-basierten Bildauswertungen noch weiter optimiert und konnten sogar eine Minute nach dem Eintippen kurze Passwörter mit 80 % Erfolgsrate aus den Wärmebildern ableiten. Die Forscher haben noch viele weitere Einflussfaktoren getestet – von der Passwortlänge über die Tippgeschwindigkeit bis zum Material der Tastatur.

Geht es denn wirklich nicht ohne Passwörter? Klar, sagt die FIDO Alliance, die zusammen mit dem W3C schon 2015 den FIDO2-Standard u. a. für Anmeldungen bei Webanwendungen ohne klassische Passwörter definiert hat. Seit letztem Jahr nimmt das Thema deutlich Fahrt auf, weil Apple, Google und Microsoft unter dem Stichwort PassKey die Unterstützung prominent in ihre Endgeräte und Browser einbauen.

XSS auf Abwegen

Cross-Site-Scripting (XSS) ist ansich eine altbekannte Schwachstelle, die in den meisten gängigen Frameworks mittels Eingabevalidierung standardmäßig mitigiert wird. Auch viele Individualanwendungen im Netz behandeln Eingabefelder, die von Dritten ausgefüllt werden, inzwischen sehr vorsichtig.

Zweckentfremdete DNS-Records

Dass derartige Angriffsvektoren oft auch von unerwarteter Seite kommen, zeigte sich, als ich nach der Lektüre des sehr lesenswerten Artikels The Joy of TXT von Peter Lowe ein wenig mit meinen DNS-Einträgen herumspielte – und prompt auf verschiedenen Seiten, die TXT-DNS-Records auslesen und anzeigen, mit meinen eigenen Popups begrüßt wurde.

TXT-Records werden oft für Validierungszwecke eingesetzt, die über die Standard-DNS-Records nicht abgedeckt werden können. Hierzu zählen meist SPF-, DMARC- und DKIM-Einträge sowie verschiedene Validierungen von Drittanbieter-Services. Unter anderem kann ein derartiger Eintrag zum Beispiel von LetsEncrypt genutzt werden, um die Domain zu verifizieren.
Doch die Möglichkeiten sind praktisch unbegrenzt. TXT-Records können, wie im Artikel beschrieben, sogar relativ große Mengen an Text bereitstellen. Und damit natürlich auch Javascript-Snippets, die auf abfragenden Webseiten mit XSS-Schwachstellen dafür sorgen können, dass Code im Webbrowser angezeigt wird.

Die bekanntesten Anbieter für DNS-Validierungsdienste und artverwandte Services entschärfen derartige Einträge standardmäßig. Auf der Webseite wird der bereinigte Inhalt der TXT-Records angezeigt, das Script kommt nicht zur Ausführung. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel: Einige Anbieter scheinen davon auszugehen, dass von dieser Seite keine Gefahr droht und binden die Inhalte ungefiltert im Browser ein – unerwünschten Code inbegriffen.

Unübliche Server-Header

Bei meiner Recherche stieß ich auf eine weitere oft unvalidierte Quelle von fremdem Input: Server-Header. Auch hier wird bei den meisten Anbietern viel vorgefiltert, doch eben nicht bei allen. Und während das Einfügen von Javascript-Code in den meisten Standard-Headern vermutlich zu sehr unvorhersehbarem Verhalten führen würde, gibt es mindestens einen Header, der offensichtlich noch harmlos genug erscheint, um ihn ungefiltert wieder auszugeben: Der „Server“-Header.

Wer sich ein wenig mit den üblichen Verdächtigen Apache, Nginx und IIS auseinandergesetzt hat, wird sicherlich bemerkt haben, dass das Ändern des Server-Headers nicht ganz trivial ist, was diese Wahrnehmung möglicherweise bestärkt. Und während böswillige Aktoren zwar das Wissen haben mögen, wie man den Quellcode eines Webservers anpasst und ihn neu kompiliert, scheint das doch ein recht sperriger Weg zu sein. Doch es gibt mindestens für den Apache Möglichkeiten, den Server-Header nahezu komplett umzuschreiben – kurioserweise mittels des Standard-Moduls „security2“, also known as „modsecurity“.

So gelingt es in einigen Fällen relativ einfach, JavaScript auf Seiten, die Server-Header anzeigen, im Browser zur Ausführung zu bringen. Abhilfe schafft auch hier nur serverseitige Filterung – oder ein Scriptblocker auf Clientseite, der oft aber auch die Funktionalität der Webseite beeinträchtigt, da der eingeschleuste Inhalt ebenfalls im Kontext der Webseite ausgeführt wird. Ein Scriptblocker kann das fremde Script nicht von den regulär eingebundenen Scripten unterscheiden.

Eingeschränkt sinnvoll: Der User Agent

Eine eher esoterische Möglichkeit, Scripte im Browser zu injizieren, ist die Manipulation des User Agent des verwendeten Browsers. Dies kann relativ simpel über Add-Ons geschehen, führt aber in vielen Fällen dazu, dass Aufrufe von Webseiten fehlschlagen. Schuld ist hier ein vorgelagerter Security-Proxy oder – Kuriosum Nummer zwei – das bereits erwähnte „security2“-Modul im Apache. Diese Maßnahmen erkennen das Script im User Agent und sperren den aufrufenden Browser direkt aus.

Der Nutzen dieser Variante ist hingegen fraglich: Sie muss auf dem lokalen Client eingestellt werden und betrifft damit auch nur diesen. Für Angriffe auf Fremdsysteme ist sie unbrauchbar. Man benötigt also bereits Zugriff auf das anzugreifende System – ein Henne-Ei-Problem. Zum Testen der serverseitigen Validierung und aktiver Sicherheitsmechanismen taugt die Methode jedoch allemal. Vorausgesetzt, dass der Server den User Agent auf einer seiner Seiten auch anzeigt.

Fazit: Vertraue niemandem!

Gelingt es, jemanden dazu zu bringen, eine verwundbare Seite aufzurufen und die präparierte Domäne in das entsprechende Textfeld einzutragen, ist ein erfolgreicher Angriff durchaus wahrscheinlich. Und einem Hilferuf in einem beliebigen Supportforum, die Validierungsseite zeige beim eigenen Server Fehler an, können viele Techies nicht widerstehen. Manche Webservices erlauben sogar das Angeben der zu überprüfenden Domäne über einen URL-Parameter, das manuelle Eingeben der Domain entfällt durch den Klick auf den Link damit komplett. Dass derartige Seiten Fremdcode einbetten vermutet auch in der technisch versierten Community bei weitem nicht jeder. Und da diejenigen, die sich gerne als Helfer in Support-Foren tummeln, oft auch in der technischen Administration in Unternehmen tätig sind, ist der Sprung zu Supply-Chain-Attacken nicht nur theoretisch denkbar.
Selbstverständlich können auf Seiten des potenziellen Opfers Virenscanner und Scriptblocker aktiv sein und den Angriff abfangen, doch dieses Risiko geht ein Angreifer immer ein.

Es zeigt sich jedenfalls wieder, dass generell bei jedem Input, bei jeder Variable, bei jedem Datenbankeintrag, der nicht vom eigenen System(-verbund) kommt, Vorsicht geboten ist. Eine zusätzliche Absicherung der Systeme, beispielsweise mittels Web Application Firewall, Security-Modulen oder vorgelagerten Prüfsystemen, sollte Standard sein. Zusätzliche Sicherheit bietet beispielsweise eine restriktive Content Security Policy (CSP), die das Ausführen von Inline-Scripten und das Nachladen von fremden Domains im Browser komplett unterbindet.

Wenn der Patch zum Trojaner wird

Die Desktop-Anwendung des VoIP-Telefonie-Herstellers 3CX wurde Ende März trojanisiert. Der Definition für Malware vom Typ „Trojanisches Pferd“ folgend, tat die Software, was sie eigentlich sollte – brachte aber zusätzliche Schadfunktionen mit. Ein sehr schwacher Trost für die Mehrzahl der Betroffenen mag sein, dass sie nicht das eigentliche Ziel des Angriffs waren. Und obwohl das auf den ersten Blick sehr beruhigend klingen mag, erforderte die Kompromittierung einer Großzahl ihrer Clients auch für diese Betroffenen selbst umfangreiche Maßnahmen, um das Ausmaß des Schadens zu bestimmen und trojanisierte Systeme neu aufzusetzen.

Betroffen sind die Versionen Update 6 und 7 für MacOS sowie Update 7 für Windows. Sie wurden bereits beim Hersteller modifiziert und typischerweise automatisch über die eingebaute Update-Funktion der Desktop-Anwendung installiert. Bereinigte Versionen stehen inzwischen bereit. Alle, für die Patchmanagement nicht nur das schnelle, ungeprüfte Installieren von Updates ist, fühlen sich jetzt sicherlich bestätigt. Das IT-Grundschutz-Kompendium fordert in OPS.1.1.3.A15 auch: „Es MUSS entschieden werden, ob der Patch eingespielt werden soll.“

Aber hätte man die Trojanisierung des Software-Updates auf einem Testsystem erkennen können? Beim Beobachten des Netzwerkverkehrs hätte man zuvor nicht vorhandene Verbindungen bemerken können – allerdings haben die Angreifer dafür extra Domainnamen reserviert, die man leicht einem legitimen Zweck zugeordnet hätte. Man hätte auch über die Art und Weise stolpern können, wie ein Teil der Malware in den DLLs der legitimen Software versteckt wurde: Während der erste Teil (der Loader) vom Hersteller unwissentlich direkt in eine DLL-Datei einkompiliert war, wurde der zweite Teil so an eine signierte DLL-Datei angehängt, dass die Authenticode-Signatur weiter gültig ist. Das sich Signaturen so leicht austricksen lassen sollen, klingt nach einem Fehler – und tatsächlich gibt es dagegen bereits seit 2013 einen Patch von Microsoft. Vermutlich ist der Patch auf Ihrem Testsystem aber nicht installiert, denn er wurde kurz nach der Veröffentlichung als „optional“ gekennzeichnet. Zu viele Nutzer meldeten legitime Software, die plötzlich nicht mehr die Signaturprüfung bestand. Auch das ist ein „schwieriger“ Teil des Patchmanagements –die positiven wie negativen Auswirkungen auch von solchen Updates zu prüfen, die der Hersteller nur eingeschränkt empfiehlt.

Mit der Patchmanagement-Brille betrachtet, bleibt als Krux festzuhalten: Ein vom Hersteller empfohlenes Update, das man besser nicht installiert hätte, traf auf ein vom Hersteller nicht uneingeschränkt empfohlenes Update, das man besser installiert hätte.

Hintergrund zum trojanisierten 3CX-Desktop-Client:

Hintergrund zu der manipulierbaren Authenticode-Signatur: