Staatlicher Zugriff auf Verschlüsselung: Ein zweischneidiges Schwert

Der britische Online Safety Act, der im Oktober 2023 in Kraft trat, verpflichtet Online-Plattformen und Suchdienste dazu, aktiv gegen illegale und schädliche Inhalte vorzugehen. Mit dem Gesetz will die britische Regierung Dienste wie WhatsApp und Apple iMessage verpflichten, verschlüsselte Kommunikation für Ermittlungsbehörden zugänglich zu machen. Die Regulierungsbehörde Ofcom überwacht die Einhaltung der Vorschriften und veröffentlicht schrittweise Leitlinien, die ab Sommer 2025 vollständig wirksam werden sollen. Dieser Umstand stößt weitläufig auf Widerstand, da er nicht nur im Widerspruch zu deutschen, sondern auch zu EU-weiten Datenschutzstandards steht. Eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gilt dabei als zentrale Schutzmaßnahme, um personenbezogene Daten vor unbefugtem Zugriff zu sichern.

https://www.nortonrosefulbright.com/en-de/knowledge/publications/0b658a5a/online-safety-act

Kleiner Einschub: Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bedeutet, dass eine Nachricht direkt in der Anwendung verschlüsselt wird, die der Absendende nutzt – und nur die Anwendung, mit der der Empfangende die Nachricht liest, kann sie wieder entschlüsseln. Die Verschlüsselung erfolgt also nicht nur auf dem Gerät, sondern durch die konkrete App, mit der kommuniziert wird. Dadurch bleibt die Nachricht auf dem gesamten Übertragungsweg geschützt – sie kann weder unterwegs entschlüsselt noch manipuliert werden.

Bei der Transportverschlüsselung hingegen übernimmt ein Kommunikationsprotokoll wie TLS während der Übertragung die Verschlüsselung. Die Nachricht kann dabei auf Sender- und Empfängerseite oder auf Zwischenstationen im Klartext vorliegen und somit eingesehen oder verändert werden. Das ist besonders relevant, da Sendender und Empfangender beim Nachrichtenaustausch meist nicht direkt miteinander kommunizieren, sondern über Server oder andere Vermittlungsstellen.

Sowohl Apple als auch WhatsApp wehren sich juristisch gegen die britischen Pläne. Wie Meta berechtigt einbringt, kann das Vorhaben zu einem „gefährlichen Präzedenzfall“ werden, der andere Staaten ebenfalls ermutigen könnte, Verschlüsselung zu untergraben.

https://heise.de/news/Grossbritanien-WhatsApp-springt-Apple-im-Kryptokrieg-zur-Seite-10443507.html

Da die Anordnungen des britischen Innenministeriums (UK Home Office) geheim erfolgen, muss Apple juristisch Druck ausüben, um überhaupt Teile der sogenannten „Schnüffelbefehle“ offenlegen zu können. Es ist unklar, wie viele Unternehmen bereits betroffen sind.

Ein Zwang zur Implementierung von Hintertüren in iOS würde nicht nur britische Nutzende betreffen. Da Apple weltweit einheitliche Software ausliefert, wären alle Nutzenden weltweit potenziell betroffen. Die britische Regierung könnte damit global die Sicherheit von Milliarden Geräten schwächen.

Ein „Generalschlüssel“ oder eine technische Hintertür ist ein Single Point of Failure. Selbst wenn dieser Schlüssel nur für legitime Ermittlungen gedacht ist, könnte er durch folgende Szenarien kompromittiert werden:

  • Hackerangriffe auf staatliche IT-Infrastrukturen (z. B. SolarWinds, Microsoft Exchange)
  • Insider-Leaks (vgl. Edward Snowden, Reality Winner)
  • Fehlkonfigurationen oder unzureichende Schlüsselverwaltung (z. B. unverschlüsselte Key-Stores, schwache HSM-Policies)

https://www.derstandard.at/story/2000138860690/steirische-bezirkshauptstadt-feldbach-von-hackerangriff-betroffen

https://thehackernews.com/2021/11/fbis-email-system-hacked-to-send-out.html

Ein kompromittierter Generalschlüssel würde den flächendeckenden Zugriff auf private Kommunikation ermöglichen – durch jeden, der ihn besitzt.

Einmal implementierte Hintertüren lassen sich nicht selektiv nutzen. Sie können von autoritären Regimen, kriminellen Gruppen, fremden Nachrichtendiensten genauso ausgenutzt werden wie von demokratischen Behörden. Kryptografie kennt keine politischen Intentionen – nur mathematische Schwächen.

Fazit: Sicherheit durch Verschlüsselung – nicht trotz.

Die Forderung nach dem Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation ist verständlich, aber technisch gefährlich. Staatliche Systeme sind nicht immun gegen Angriffe. Wer ihnen Generalschlüssel anvertraut, riskiert, dass diese Schlüssel früher oder später kompromittiert werden.

Starke Verschlüsselung schützt nicht nur die Privatsphäre – sie ist ein Grundpfeiler der digitalen Sicherheit und letztendlich der Demokratie.

Weitere News im Juli

Trojanisierte SSH-Keys

In der Linux-Welt wird die Authentisierung beim Fernzugriff gern mit SSH-Keys umgesetzt. Diese Schlüsselpaare aus privatem und öffentlichem Schlüssel haben gegenüber Passwörtern viele Vorteile – so können z. B. für einen Nutzer mehrere autorisierte Schlüssel hinterlegt werden, und der gleiche Mensch kann sich je nach Quellrechner unterschiedlich anmelden (z. B. Laptop, Desktopsystem oder Sprungserver). In der zuständigen Datei „authorized_keys“ können noch weitere Einschränkungen für Zugriffe mit bestimmten Schlüsseln gemacht werden. Beispielsweise kann ein Backupsystem einen Zugriff erhalten, der lediglich das Ausführen des notwendigen Datensammelskripts erlaubt.

In einem Blogpost wurde gezeigt, wie sich diese eigentlich gut gemachte Sicherheitsfunktion ausnutzen lässt, um eine Hintertür auf einem System zu hinterlassen. Eine notwendige Voraussetzung dafür ist der Zugriff auf die Datei „authorized_keys“. Damit kann man sich natürlich auch einfach seinen eigenen Schlüssel in die Liste schreiben, aber das könnte bei einer Inventur der Zugänge auffallen. Daher wird bei dem geschilderten Angriff ein bestehender Eintrag so modifiziert, dass bei jedem Anmelden des berechtigen Nutzers zusätzlich eine Backdoor gestartet wird.

Die betroffene Datei „authorized_keys“ ist sehr geschickt gewählt, da sie nur jeweils den öffentlichen Schlüssel der berechtigten User enthält. Diese Datei wird daher häufig bei größeren Setups und automatischen Deployments mit Git versioniert und dann automatisch auf alle Systeme verteilt. Eine versteckte Manipulation kann also schnell viele kompromittierte Systeme zur Folge haben.

https://blog.thc.org/infecting-ssh-public-keys-with-backdoors

It’s Magic: Wieder Fortinet-Backdoor

In der FortiGate SSL-VPN-Appliance des kalifornischen Security-Hardware-Herstellers Fortinet ist eine kritische Backdoor gefunden worden. Durch einfaches Setzen eines „magic“-Parameters konnte jeder Unbefugte die Passwörter ändern. Fortinet, schon 2016 in einen Backdoor-Skandal verwickelt, ist um Schadensbegrenzung bemüht. Allerdings lässt sich solch eine gravierende Lücke nur durch Vorsatz oder ganz grobe Mängel in der Qualitätssicherung erklären – beides keine guten Aussichten für einen Security-Vendor. Fortinet selbst deutet in sozialen Medien vielsagend-nebulös an, dass „ein bestimmter Kunde“ diese Backdoor gefordert habe, die nur „versehentlich“ in den Master für alle Appliances gelangt sei. Das Vertrauen wird man nun erst wieder herstellen müssen.

https://www.securitynewspaper.com/2019/08/29/fortinet-backdoored-fortios-or-hackers-did-for-monitoring-since-last-5-years/

Immer diese Chinesen? Backdoor in Cisco-Switches

Der amerikanische Netzwerkausrüster Cisco hat „versehentlich“ in seinem Nexus 9000-Switch, mit dem in der Cloud „SDN“ (Software Defined Networks“) gebaut werden, hart-codierte SSH-Schlüsselpaare verwendet. So kann jeder, der ein solches Gerät in der Hand hat, den privaten Schlüssel auslesen und sich damit in alle anderen Nexus weltweit einloggen, auf die er per IPv6 Zugriff hat – und zwar als root. Die Interpretation „extreme Fahrlässigkeit“ ist nicht um vieles besser als die der „absichtlichen Backdoor“.
https://www.theregister.co.uk/2019/05/02/cisco_vulnerabilities/