Wenn die KI mondsüchtig wird und Gespenster sieht

Eine spannende Diskussion wird gerade über die Zoom-Funktion in Samsung-Handys geführt. Mit der Handykamera gelingen nämlich seit einer Weile überraschend gute Bilder – besonders spektakulär sind dabei Bilder vom Mond. Vergrößert man die Bilder, lassen sich viele Details der Mondoberfläche erkennen. Die Diskussion entspann sich jetzt daran, ob das alles durch Verbesserungen an der Hardware und schlaue Optimierungsalgorithmen realisiert wurde, oder ob die Algorithmen es sich nicht etwas einfach machen und entsprechende Aufnahmen vom Mond passend einfügen. Wie immer, wenn es um die Vorzüge und Nachteile von IT-Marken geht, wird die Diskussion mit vehementem Eifer ausgetragen.

Vor kurzem hat der Reddituser „ibreakphotos“ die Diskussion mit einem Experiment noch einmal bereichert. Er hat ein vorhandenes Foto vom Mond genommen, es verpixelt, mit einem Weichzeichner versehen und anschließend erneut fotografiert. Das so entstandene Foto ist nicht perfekt, enthält aber Informationen, die de facto in der Vorlage nicht (mehr) enthalten waren. Die KI hatte bei ihrer Bildoptimierung also vermutlich zumindest eine korrekte Mond-Textur im Hinterkopf bei der Bildoptimierung.

Benchmark-relevante Funktionen zu schönen hat eine sehr lange Historie. Vielleicht erinnern Sie sich an die Grafikkartenhersteller Anfang der 2000er, die Spiele-Benchmarks erkannt und anders ausgeführt haben – oder an neuere Fälle bei Herstellern von Mobiltelefonchips und Fernsehern in den letzten Jahren.

Spiele und Mond-Bilder – wo ist da der Bezug zur Büro-IT? Dafür gehen wir auch wieder an den Karteikasten mit historischen News: Vor genau 10 Jahre machte eine vermeintlich schlaue Bildoptimierung in Xerox-Scankopierern Furore, da sie gelegentlich Zahlen vertauschte. Alles begann mit einer Bauzeichnung, in der die Quadratmeterangaben vertauscht waren. David Kriesel deckte damals auf, dass das Problem auch in vielen anderen Fällen auftrat, z. B. bei Tabellen mit Zahlen.

Ursprünglicher Reddit-Post zur Samsung-Kamera: https://www.reddit.com/r/Android/comments/11nzrb0/samsung_space_zoom_moon_shots_are_fake_and_here/

Ergänzung mit weiteren Versuchen: https://www.reddit.com/r/Android/comments/11p7rqy/update_to_the_samsung_space_zoom_moon_shots_are/

Andere Fälle mit geschönten Benchmarks:

https://www.theregister.com/2003/05/27/ati_admits_it_optimised_drivers/

https://www.anandtech.com/show/15703/mobile-benchmark-cheating-mediatek

https://entertainment.slashdot.org/story/22/06/15/0615211/samsung-caught-cheating-in-tv-benchmarks

10 Jahre alter Xerox-Fall: https://www.dkriesel.com/blog/2013/0802_xerox-workcentres_are_switching_written_numbers_when_scanning

Wir nehmen RTF: Da gibt es keine Makros – dafür aber einen Exploit

Das Rich Text Format (RTF) wurde lange als plattformübergreifendes Austauschformat genutzt – auch wenn das Format genauso wie das Word-Format von Microsoft spezifiziert wurde. RTF-Dokumente können aber von Haus aus keine Makros enthalten, und es gibt neben den Microsoft-Produkten eine Reihe weiterer Tools auf verschiedenen Betriebssystemen, die damit umgehen können. Ganz Mutige lesen das RTF-Dokument direkt im Texteditor und denken sich das Layout einfach dazu.

Das klingt doch nach einer tollen Ablösung für den Mailversand von Office-Dokumenten mit potenziell verseuchten Makros. Das Format wird allerdings seit 2008 nicht mehr gepflegt. Noch viel entscheidender: Vor einem Monat wurde eine Lücke in Word bekannt, mit der über ein präpariertes RTF-Dokument beliebiger Code ausgeführt werden kann. Microsoft hat die Lücke mit den Februar-Patches bereits behoben. In seinem Bericht hat Joshua J. Drake, der Finder der Lücke, aber auch schon einen Proof-of-Concept-Exploit veröffentlicht.

https://msrc.microsoft.com/update-guide/vulnerability/CVE-2023-21716

https://qoop.org/publications/cve-2023-21716-rtf-fonttbl.md

Angriffe im Jahresrückblick

Das Frühjahr ist auch immer die Zeit für Jahresrückblicke. Natürlich sind sie beschränkt auf den jeweiligen Wirkungsbereich und daher streng genommen nicht repräsentativ, aber sie ermöglichen doch, Trends und Gemeinsamkeiten zu erkennen.

Die Kollegen vom DFIR-Report (Digital Forensics and Incident Response) sammeln Artefakte und Berichte von realen Angriffen und haben vor kurzem ihre Sicht auf das Jahr 2022 zusammengefasst. Analog zu unseren Erfahrungen liegen die meisten Vorfälle im Bereich Ransomware. 69 % der Fälle ließen sich auf Phishing als initialen Zugriff zurückführen. Um sich dann von dem ersten System mit meist geringen Rechten weiter vorzuarbeiten, bedarf es weiterer Zugangsdaten. In den meisten Fällen (44 %) wurden sie aus dem LSASS-Speicher geholt. Wem das nichts sagt, der hat vermutlich schon von dem typischen Tool hierfür gehört: mimikatz. Das Auslesen im Browser gespeicherter Passwörter teilt sich bereits den zweiten Platz mit zwei weiteren Speicherauslese-Techniken. Für die Bewegung im Netz werden meist Standardprotokolle wie RDP und SMB genutzt (beide jeweils in 41 % der Fälle) – die nötigen Zugangsdaten sind dann ja bekannt. Spannend wird es bei den Tools, die zur späteren Steuerung hinterlassen werden (Command & Control, C2). Platzhirsch Cobalt Strike führt mit 29 %, direkt mit 8 % gefolgt von AnyDesk – einer ganz normalen Fernzugrifflösung.

Im Report sind noch mehr Zahlen und vor allem viel mehr technische Details sowie Beispiele enthalten: https://thedfirreport.com/2023/03/06/2022-year-in-review/

Medientipp März 2023

Wer sich schon mal stundenlang in der Wikipedia verlaufen hat und das jetzt auch mit mehr Sicherheit wiederholen will, sollte sich ein paar ruhige Stunden nehmen und dann die MITRE ATT&CK Webseite öffnen:

https://attack.mitre.org/

Die ATT&CK-Matrix gibt nicht nur ein dekoratives Poster her, sondern bietet mit ihrem mehrdimensionalen Ansatz auch viel Raum, um spannende Zusammenhänge zu finden. Es gibt verschiedene Einstiegslisten: alle möglichen Angriffstechniken, Tools oder Angreifergruppen. Zu jedem Eintrag gibt es eine kurze Beschreibung und viele Verknüpfungen zu den anderen Dimensionen. So kann man etwa über die Liste Tools zu dem oben erwähnten Cobalt Strike kommen und findet dort alle Techniken, bei denen es zum Einsatz kommt sowie Gruppen, die es nutzen. Auf diese Weise kann man sich schön durch die Welt der Angreifer klicken und findet auch viele weiterführende Links.

Passenderweise gibt es direkt auf der Startseite einen Button „Random Page“: ein Klick – und die Reise kann beginnen.

Neues vom IT-Grundschutz: 10 ergänzte Bausteine 2023

Jedes Jahr wird das IT-Grundschutzkompendium aktualisiert und ergänzt. Durch die 10 neuen Bausteine in diesem Jahr gibt es jetzt 111 Bausteine, die Anforderungen für die verschiedenen Zielobjekte im Informationsverbund definieren. Neben dem schon häufig vermissten Baustein für einen Terminalserver gibt es auch zwei neue Outsourcing-Bausteine als Ersatz für die bisher im Kompendium enthaltenen. Wer nicht tief im Grundschutz steckt, wird sich fragen, warum gleich zwei Bausteine nötig sind: Der eine beschreibt die Anforderungen aus Sicht des Outsourcing-Nutzers, der andere ist das entsprechende Gegenstück aus Sicht des Outsourcing-Anbieters. Beide Seiten setzen den passenden Baustein in ihrem jeweiligen Verbund um, damit mögliche Regelungslücken vermieden werden. Das klappt mit den neuen Bausteinen jetzt auch besser. Kleiner Wermutstropfen für alle, die bereits die alten Bausteine modelliert hatten: Da sich so viel geändert hat, kommt die Umstellung auf die neuen Bausteine einer Neuerhebung gleich.

Öffnen auch Sie nur sichere Anhänge? Wie steht es um OneNote-Dateien?

Beim Katz-und-Maus-Spiel zwischen Angreifern und Verteidigern in der Mailkommunikation wurde gerade wieder eine neue Runde gestartet: Microsoft hat per Default Makros in Office-Dokumenten deaktiviert, und in vielen Organisationen werden Office-Dokumente nur noch in makrofreien Varianten (.docx statt .doc oder .docm etc.) zugestellt.

Um neue Wege einzuschlagen, haben Angreifer jetzt das OneNote-Format entdeckt. OneNote-Notizbücher können nicht nur Notizen in Form von Text enthalten. Man kann die Notizen auch um Dateien ergänzen, die man dort aufheben möchte – vor dem inneren Auge hatten die Entwickler dabei wohl die vielen Zettelchen und Tickets, die sich in Papier-Notizbüchern immer wieder ansammeln. Vermutlich ahnen Sie schon, worauf es hinausläuft: In den digitalen Notizbüchern kann man auch ausführbare Skripte einfügen. Die Angreifer nutzen zudem die Möglichkeiten der freien Gestaltung der Notizseiten und versteckten ihre Dateilinks unter vermeintlichen Schaltflächen.

OneNote-Dokumente tauscht man vermutlich seltener aus als andere Office-Dokumente. Aber hatten Sie die schon auf Ihrer Blacklist?

Hier eine Beschreibung des konkreten Angriffs mit vielen Bildern: https://www.bleepingcomputer.com/news/security/hackers-now-use-microsoft-onenote-attachments-to-spread-malware/

Ein kurzes Kürzel mit großen Auswirkungen: NIS2

Haben Sie durchgeatmet, weil Ihre Organisation nicht unter die Definition von KRITIS nach dem BSI-Gesetz fiel? Dann atmen sie nochmal tief ein, denn Ihre Puste könnten Sie bald für die Umsetzung der Anforderungen und Maßnahmen aus der europäischen Richtlinie NIS2 brauchen. Ende 2022 beschlossen, wird sie bis Herbst 2024 in allen EU-Mitgliedsstaaten in nationales Gesetz überführt werden müssen. Das bedeutet für rund 40.000 Unternehmen und vergleichbare Einrichtungen in Deutschland die Umsetzung ambitionierter Anforderungen und Pflichten.

Es kommen neue Sektoren hinzu, mit Anforderungen an mittelgroße Unternehmen (50-250 Mitarbeiter) und große (alles darüber) sowie für Ausnahmefälle, die sich durch eine hohe Kritikalität auszeichnen. Zusätzlich kommen auf die Organisationen Meldepflichten bei signifikanten Sicherheitsvorfällen zu und Vorgaben zu technischen, organisatorischen und operativen Sicherheitsmaßnahmen. Diese könnten sich über das geforderte Lieferkettenmanagement auch indirekt auf Zulieferer auswirken.

Einige Details ergeben sich noch aus den nationalen Verfeinerungen. Trotzdem sollten alle potenziell Betroffenen bereits jetzt überlegen, welche Auswirkungen sie bewältigen müssen, und wie ein Vorbereitungsplan aussehen könnte. „Herbst 2024“ klingt weit weg. Aber eineinhalb Jahre sind in IT-Projektzeit doch ziemlich wenig. 

Zusammenfassung und FAQ der EU: https://digital-strategy.ec.europa.eu/de/policies/nis2-directive Die Richtlinie im Detail: https://eur-lex.europa.eu/eli/dir/2022/2555/oj

Wenn Angreifer VMs den Teppich unter den Füßen wegziehen: Große Angriffskampagne auf VMware-Hosts

Virtualisierung hat der Sicherheit einen deutlichen Schub gegeben. Nie war es einfacher, Dienste und Daten auf verschiedene (virtuelle) Systeme zu verteilen. Aber wie immer in der IT kommt das nicht ohne einen großen Haken: Der Virtualisierungshost wird zu einem Single-Point-of-Failure, von dem die Sicherheit aller darauf laufenden Systeme abhängt.

Nach einer großen Angriffskampagne mussten Betreiber von VMware-ESX-Servern dies am eigenen Leib erfahren. Verschiedene Informationssicherheitsbehörden gaben sogar Warnungen heraus – darunter Italiens ACN und das französische CERT. Bei genauerer Betrachtung der Kampagne sieht man, dass eine recht alte Lücke ausgenutzt wird (die CVE datiert von 2021, das Update ist seit einem Jahr verfügbar) und die Angreifer Zugriff auf den Port 427 benötigen. Dieser Port wird für das CIM-/SLP-Protokoll benötigt, mit dem man externe virtuelle Ressourcen verwalten kann – er dient also eher einer administrativen Funktion.

Durch systematisches Ausnutzen des fehlenden Patches und der offenen Adminschnittstelle konnten Angreifer sehr viele Hostsysteme kompromittieren und verschlüsseln – und damit eine natürlich umso größere Anzahl darauf laufender virtueller Systeme beeinträchtigen.

Glück im Unglück: Für Betroffene der ersten Angriffswelle gibt es bereits Skripte, mit denen virtuelle Maschinen aus Artefakten wiederhergestellt werden können. In späteren Angriffswellen haben die Angreifer die dafür nötigen Daten ebenfalls zerstört.

Wiederherstellungsskript: https://github.com/cisagov/ESXiArgs-Recover/blob/main/recover.sh

Warnung des BSI: https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Cybersicherheitswarnungen/DE/2023/2023-205338-1032.html

Medientipp Februar 2023

Im letzten Newsletter hatten wir die Chancen und Risiken von ChatGPT diskutiert. In den letzten Wochen gab es dazu noch viele weitere spannende Experimente im Netz. Ein schönes Beispiel ist dieses Quiz von Heise Online:

https://www.heise.de/hintergrund/TGIQF-Quiz-zu-IT-Sicherheits-Abkuerzungen-7487850.html

Bei der Erstellung half die KI – aber klicken Sie sich lieber erst durch das Quiz und lesen Sie anschließend den Hintergrundartikel zu seiner Erstellung.

Mehr als nur ein Versionsupdate: Die ISO/IEC 27001:2022

Im Oktober 2022 wurde die zentrale ISO-Norm zur Informationssicherheit aktualisiert. Die meisten Betroffenen haben sich vermutlich schon davor mit den Neuerungen beschäftigt. Aber nach einem Quartal in der Praxis ist eine erste Zwischenbilanz möglich. Zwei Neuerungen kristallisieren sich als typische Herausforderungen heraus: zum einen die Anforderung, die Bedrohungsentwicklung aktiv zu beobachten (Threat Intelligence), um auf strategischer, taktischer wie operativer Ebene reagieren zu können. Zum anderen bildet die jetzt nachzuweisende Cloud-Strategie für viele ebenfalls eine neue Challenge.

Die wichtigsten Änderungen: https://www.youtube.com/watch?v=53uwJY-mrIg

Cloud-Strategie: https://www.youtube.com/watch?v=nVlppw4EDuc